F. Ictitious (Interviewer): Du hast 1970, anlässlich eines Vortrags im Kunstverein Rorschach ausgesagt, dass die Aufgabe des Künstlers nicht mehr nur darin bestehen könne, dass er Bilder, Skulpturen und dergleichen herstelle, die letzten endes doch nur als handelbare Objekte ästhetischer oder weltanschaulicher Eigenart verstanden werden. Der zeitgenössische Dialog zwischen dem Künstler und der Gesellschaft, der sich vordem in einem eigenst zugewiesenen Raum abspielte, müsse auf unser gesamtes Ueberleben übergreifen, auf alle damit verbundenen Kreativitäten zielen. Ein Gestaltungswille sei gefragt, der die gesellschaftlichen Realitäten mit einbezieht, nicht reflektorisch, sondern im Sinn einer Umgestaltung. In 50 Jahren, schriebst du, werden Künstler unsere Städte bauen, unsere Kinder unterrichten, unsere Gesellschaft organisieren … Eine Utopie? Vielleicht … Aber eine notwendige.
Nun, diese von dir ins Auge gefasste Zeitspanne von 50 Jahren ist bald vorbei. Haben sich die Realitäten so verwandelt, wie du es für wünschenswert gehalten hast? Oder sich immerhin in diese Richtung entwickelt?
J.Schoop: Die damaligen Feststellungen sind wohl dem vorauseilenden jugendlichen Drang nach Veränderung zuzuschreiben. Dahinter ist auch ein Optimismus sichtbar, der die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten igmorierte, den ich natürlich längst hinter mir gelassen habe. Selbverständlich hat der gesellschaftliche Wandel auch neue Freiheiten hervorgebracht. 1970 konnten z.B. unverheiratete Paare - wenn überhaupt - nur unter Missbilligung zusammenleben, wenn das heute nicht weiter ein Thema ist, liegt die Ursache nicht darin, dass darin eine neue Kultur des Zusammenlebens zum Ausdruck käme. Die Leute, die unentwegt mit dem möglichst viel Geldverdienen beschäftigt sind, richten ihre Aufmerksamkeit sinngemäss auf jenen Teil der Psychologie, der sich mit dem Konsumverhalten beschäftigt. Sich zufrieden fühlende und sich sogenannte Freiheiten leistende Individuen sind die besseren und lenkbareren Konsumenten, ob nun in der Zweierkiste oder gehätschelter Familie. Die sogenannt individuelle Freiheit ist tatsächlich eine eingepflanzte Illusion.
Dieselben Leute haben spätesten in den letzten 20 Jahren entdeckt, in welchem überreichen Mass sich mit Kunst und Kultur Geld anäufnen lässt. Heute interessiert sich nicht mehr nur eine kleine Elite für Kunst, Spekulanten jeder Couleur mischen da mit und träumen von ungeahnter Wertschöpfung. Schon vor 30 Jahren malte ich mir aus, dass es wohl, um Geld zu waschen, nichts Schöneres und Interessanteres gäbe als Kunstgalerien mit gezieltaufgebauten Künstlern zu eröffnen. Die Künstler, die das grosse Geld bringen sind ja ohnehin auf die eine oder andere Art gemacht. Was die Mafie dazu benötigte, wäre ja nicht das Geld, sondern ein paar Leute, die die wichtigstens Deutungsverfasser, Verleger, TV-Stationen und angesagtesten Kuratoren wie auch beste Galerienstandorte kennen. (Beatrix Ruf wäre vielleicht nicht unglücklich über ein lukratives Stellenangebot. Ich denke, meine Spinnerei ist bereits eingeholt worden von der Wirklichkeit, dumm sind dort nur die untersten Kader bei der Mafia. Der Geschäftszweig mit den Pizzerien lief sich bald einmal tot und ist zu leicht durchschaubar, abgesehen vielleicht von der Schweiz. Kunst heisst grösseres Geld.
Wenn du die kulturellen Angebote heute mit denen vor 50 Jahren vergleichst, dann tauchst du in einen Tsunami ein . Kein Künstler, der einer Sache nicht einen neuen Aspekt abgewinnt, keine Sängerin, die nicht eine begnadete, die Herzen gewinnende Stimme besässe, kein Tänzer, der die Bühne neu deutet, keine Schriftsteller, die nicht an einer differenzierten Hommage an das Leben schreiben. Und sie treten ja nicht vereinzelt auf, sie überschwemmen wie Wellen das Land. Etwas blauäugig könnte man meinen, dass die Kultur ungeahnt an Boden gewonnen hat, man fragt sich unwillkürlich, welches denn noch die Staatstragenden sein werden, wenn es nur noch Kreative gibt, die wenig oder gar keine Steuern zahlen. Nein, ich glaube , dass die meisten Künstler keinen nennenswerten Beitrag zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse abgeben, verblüffende Einfälle, die solchen Anschein erwecken , dienen vor allem der Bekanntheits-Organisation. Der Kunstwillen mündet, wie er sich auch immer in Kapriolen übt, in eine vergesellschaftete Gleichförmigkeit. Die Künstler müssten doch ständig reflektieren, wie denn Kreativität in der Gegenwart definiert werden könnte. Ich sehe nur die Ausweidung der Moderne, - Postmoderne genannt und die Pflege des heute fast unumgänglichen eigenen Narzissmus.
‘F. Ictitious (Interviewer): Warum sind solche, die noch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts geboren worden sind, nicht glücklicher mit der gegenwärtigen, bodengewinnenden Entwicklung von Kultur und Bildung?
J.Schoop: Obschon wir gar nichts haben gegen Volkskultur und all die Spielarten von Kultur, sagt uns ein geschärfter Blick, dass sich die Gesellschaft nicht - wie gewünscht - im Kern umgestaltet hat. Wir lassen uns vom Ausmass des Angebots leicht täuschen. Selbverständlich sind da wertvolle Kulturträger und -vermittler daunter, ein Nachdenken an den Rändern der Gesellschaft ist ja wahrnehmbar, doch gibt das nicht die Richtung an. Die Förderung allein des Dilettantischen, wäre für jene, die die Mittel besitzen, die Kulturschwemme zu fördern, schon rein aus ökonomischen Gründen nicht ratsam. Die Nährmutter alles Oekonomischen ist zudem die Imagepflege. Weisst du, der Begriff der „Eventkultur“ fehlte in unserem Vokabular, wir konnten uns das noch nicht mal vorstellen: Kultur als gängiges Freizeitereignis, als Impfstoff gegen die Langeweile und permanente Verletztheit. Nebst den Bürgerlichen, die aus ihren Häuser kraxeln und sich gerne von Angeboten verführen lassen, sind es ja vorab die jungen Generationen, die die grössten Massenveranstaltungen prägen. Da geht es nicht mehr darum, festzustellen, es mit einer leicht veränderten, geschmacklich manchmal fragwürdigen Kultur zu tun zu haben. Wenn 8000 Leute ihr beleuchtetes Handy im Takt einer zweitklassigen, möglichst lauten Band schwenken, geht es gewiss nicht mehr um Musik. Wir wohnen einem rituellen Anlass bei, der sich aus einem neuen Kulturverständnis entwickelt hatte. Kann man etwas gegen Riten haben? Neben einem nur hypertrophen Eventbetrieb, der - ökonomisch gesehn - traditionelle Wurzeln hat, sind auch die Veränderungen, ob sie nun weiterführend oder nicht sind, feststellbar. Ich plädiere dafür, dass wir aber das alles vorläufig unter dem Begriff des Konsums betrachten - Ritual einer neuen Gesellschaft hin oder her. Eine eigentliche Umwälzung, in deren Anfängen wir uns jetzt befinden, die uns auch ganz andere Kulturbegriffe nahelegen wird, ist mit der Digitalisierung, mit dem Digitalen Zeitalter gegeben, von dem ich einiges, völlig unpessimistisch erhoffe. Sie wird auch die Kunst auf einen neuen Punkt bringen. Vielleicht liege ich wieder falsch, - wenn es dem Kapitalismus gelingt, über jede humane Intelligenz hinweg wieder mal seine Kontrolle um Geld- und Machtvermehrung zu installieren, besser gesagt auszudehnen, dann wird globale Dunkelheit herrschen. Wie heisst es: Schick` Hirn vom Himmel, - nicht so sehr Kultur …